Karl-Heinz Land stellt sich in diesem Beitrag als Digital Darwinist, Evangelist und Gründer der Agentur für digitale Transformation Neuland kritisch folgenden Thesen:
-
Die Digitalisierung gefährdet fast die Hälfte aller Jobs in Deutschland
-
Die „Dematerialisierung“ lässt Wertschöpfungsketten verschwinden
-
Vollbeschäftigung als Ideal hat ausgedient – diskutieren wir darüber
Die Digitalisierung erfasst alle Bereiche unseres Lebens. Und sie stellt die Gesellschaft vor ein grundsätzliches Problem: Was passiert, wenn 45 Prozent, also knapp die Hälfte der Arbeitsplätze, gefährdet sind? Diese Prognose hat die Unternehmensberatung A.T. Kearney jüngst abgegeben – und sie ist realistisch. Extrem bedroht sind demnach Versicherungsvertreter, Kreditanalysten, Kassierer und, auch wenn es überraschend klingt, Köche.
Jetzt tritt ein, was der britische Ökonom John Maynard Keynes bereits vor fast 100 Jahren prognostizierte: Es droht eine technologisch bedingte Arbeitslosigkeit, weil wir viel schneller Arbeit einsparen als wir neue schaffen.
Der digitale Sturm zieht bereits herauf
In der zunehmend digitalisierten Welt geht uns die Arbeit aus. Das hehre gesellschaftliche Ziel der Vollbeschäftigung hat ausgedient. Daran ändern auch die neuen Arbeitsplätze und Berufsbilder nichts, die durch die Digitalisierung entstehen – etwa der oft bemühte Data Scientist. Der Saldo wird in einem dramatischen Ausmaß negativ sein. Wer dagegen auf moderate Auswirkungen für den Arbeitsmarkt setzt und hofft, übersieht den bereits heraufziehenden digitalen Sturm. Er wird die Grundlagen vieler Arbeitsplätze hinwegfegen, so wie im 19. Jahrhundert die Dampfmaschine und die von ihr betriebenen Webstühle die Lebensgrundlage der meisten Weber in kürzester Zeit zerstörten. Wir erleben derzeit, wie dies in Dutzenden Branchen und Berufen gleichzeitig geschieht.
Was häufig übersehen wird: Die digitale Welt entwickelt sich nicht linear. Sie wächst und beschleunigt sich exponentiell. Es wird keine Leistungssteigerungen geben, sondern große Leistungssprünge. Auf jeder Stufe entwickeln digitale Technologien weitere Fähigkeiten, die viele Jobs überflüssig machen, und zwar bis tief in jene kognitiven und kreativen Aufgaben, die lange eine Domäne des menschlichen Denkens zu bleiben schienen. Ich bin überzeugt: Was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Was vernetzt werden kann, wird vernetzt. Was automatisiert werden kann, wird automatisiert.
Ein 3-D-Drucker ersetzt Maschinen – und Menschen
All das ist keine Science-Fiction, es passiert bereits jetzt. Wenn ein Unternehmen wie Airbus ankündigt, Bauteile für seine Flugzeuge im 3-D-Druck herzustellen, wird das ungeheure Potenzial dieser Entwicklung sichtbar: Ein 3-D-Drucker ersetzt viele Maschinen. Und viele Menschen, die diese Maschinen programmieren und steuern, gleich mit. Außerdem macht er die Arbeitsplätze entbehrlich, an denen diese Maschinen erdacht und produziert werden.
Damit nicht genug: Als weiterer Faktor kommt der Megatrend „Dematerialisierung“ hinzu, der die Verwandlung dinglicher Produkte in Software beschreibt. Via Smartphone greifen die Menschen auf immer mehr Services zu, für die früher Hardware oder sogar Geschäfte vonnöten waren. Und das Angebot wird immer größer. Demnächst ersetzt – um ein Beispiel zu nennen – eine App den Autoschlüssel. Wer braucht dann noch die Hersteller der Dutzenden Komponenten aus Kunststoff, Metall und Elektronik, aus denen ein Autoschlüssel heute besteht? Und die Maschinen und Anlagen, auf denen diese produziert werden?
45 Prozent aller Arbeitsplätze sind in Gefahr
Als die Forscher Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von der Oxford University im Jahr 2013 ihre grundlegende Studie über die Folgen der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt veröffentlichten, machten sie das Ausmaß der Veränderung sichtbar. Danach besteht für 47 Prozent der Jobs in der US-amerikanischen Wirtschaft ein hohes Risiko, in den nächsten zehn, zwanzig Jahren durch digitale Lösungen oder Roboter ersetzt zu werden. A.T. Kearney hat die Ergebnisse von Frey und Osborne auf Deutschland übertragen und sieht – wie eingangs erwähnt – hierzulande 45 Prozent aller Arbeitsplätze in Gefahr.
Nicht nur einzelne Berufsbilder wie Versicherungsvertreter, Kreditanalysten, Kassierer und Köche stehen auf der Liste der bedrohten Arten, sondern ganze Berufsfelder – von Büro und Sekretariat über Verkauf und Service in Handel und Gastronomie bis hin zu Buchhaltung und Betriebswirtschaft. Insgesamt sieht A.T. Kearney bei 318 und damit bei einem Viertel aller Jobprofile ein hohes Potenzial, dass die Arbeit künftig von den Kollegen Roboter und Computer besser und ökonomischer erledigt wird.
Längst überfällig erscheint mir deshalb eine breite Diskussion darüber, wie Politik und Gesellschaft darauf reagieren und die Weichen neu stellen. Das „bedingungslose Grundeinkommen“ ist eine vielversprechende Idee. Wir müssen die Menschen, für die schlicht keine Arbeit da sein wird, mit einem Einkommen ausstatten und sie in gesellschaftliche wie soziale Aufgaben einbinden. Gleichermaßen lohnenswert erscheint es mir, über eine Maschinensteuer nachzudenken. Heutzutage wird die Arbeit der Menschen besteuert und mit Beiträgen in die Sozialkassen belegt. Müssen künftig nicht die Nutzer digitaler Technologien herangezogen werden, um deren Finanzierung zu sichern?